Eine Erzieherin beobachtet, wie ein Vater seinen vierjährigen Sohn jeden Tag mit dem Buggy in die Kita fährt. Ihre ältere Kollegin hat dies auch schon gesehen und bittet nun die jüngere Kollegin, den Vater doch mal darauf hinzuweisen, dass sein Sohn schon alleine laufen kann. Konflikte drohen, weil der Vater und die Erzieherinnen das Kind offenbar unterschiedlich wahrnehmen. Und weil die jüngere Erzieherin den Vater vielleicht gar nicht belehren will. Für den promovierten Psychologen Malte Mienert, der seit 2011 die Professur für Hochschulbildung an der European New University Kerkrade in den Niederlanden inne hat, ein gutes Beispiel, um den häufig schwierigen Erziehungsalltag zu illustrieren und mit den Fachkräften aus Kitas und Grundschulen, aber auch mit Eltern, ins Gespräch zu kommen.
Prof. Dr. Malte Mienert beschäftigt sich damit, wie Erziehung partnerschaftlich gestaltet werden kann. Er kennt den Normalzustand. Und der sieht so aus: Fast alle gegen alle, Lehrer gegen Eltern, Eltern gegen Erzieher und so weiter. Elternarbeit heißt oftmals, die Eltern auf den richtigen Weg zu bringen, Ziele vorzugeben. Der Wissenschaftler, der in Bremen lebt, kommt viel ins Gespräch bei seinen Vorträgen und Diskussionen in der ganzen Republik. Am 18. Januar sprach er im Rahmen des Kita & Co Elternforums im Herforder Kreishaus. 50 Eltern kamen abends, am folgenden Tag diskutierte er mit 26 Fachkräften aus Kita & Co im Rahmen eines Fortbildungstags. „Der Bedarf war sogar noch größer, wir mussten die Teilnehmerzahl beschränken, um eine hochwertige Diskussion zu gewährleisten“, erklärt Gisela Schimanski, Projektleiterin von Kita & Co.
Sowohl die Fachkräfte wie auch die Eltern gingen mit einem starken Eindruck des Referenten und den vermittelten Inhalten. Der Experte in Sachen frühkindliche Bildung klagte nicht an, er sprach mit ihnen. Er ging ein auf ihre Eindrücke, Erfahrungen, Meinungen und Standpunkte und entwickelte zusammen mit den Beteiligten Wege für ein partnerschaftliches Miteinander.
Der Entwicklungspsychologe räumt zu Beginn auf mit festen Vorstellungen von Eltern und Familie auf und bringt damit auf den Punkt, wie komplex und vielfältig die Wirklichkeit inzwischen ist. Eltern können getrennt leben oder in Patchwork-Familien, Kinder können z.B. aus einer hierarchischen Familie mit dem Vater als Verdiener kommen, aus einer Familie mit Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlichen Eltern. Für die Fachkräfte bedeutet dies: Sie müssen sich zu einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensentwürfe und einer mindestens ebenso großen Zahl von Erziehungsvorstellungen verhalten. Prof. Dr. Malte Mienert plädiert dafür, dies partnerschaftlich zu tun. Eltern und Fachkräfte diskutieren miteinander über Ziele und Methoden der Erziehung, weil sich so das Kind am besten entwickelt. Partnerschaft kann auch ein Konflikt bedeuten. Doch der geschieht dann auf Augenhöhe und löst sich an Hand von Argumenten auf und nicht auf Grund von Macht. Die Erzieherin würde dann den Vater erst mal fragen, welche Überlegungen zu der Entscheidung geführt haben, den Jungen in einen Buggy zu setzen.
Partnerschaft braucht Zeit – und führt zwangsläufig zu Kompromissen. Für Fachkräfte bedeutet dies, alte Gewohnheiten in Frage zu stellen und die eigene Arbeit transparent zu machen. Eltern hingegen lernen, dass sie nicht nur Befehlsempfänger der Pädagogen und Lehrer sind sondern auch klare eigene Erziehungsvorstellungen entwickeln und formulieren müssen. „Die Chancen der Erziehungspartnerschaft liegen unter anderem darin, Verhaltensweisen der Kinder besser erklären und einschätzen zu lernen und auftretende Schwierigkeiten frühzeitig angehen zu können“, sagt Prof. Dr. Malte Mienert. Kontakt und Kommunikation auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten erleichtern auch den Übergang von der Kita zur Schule.