Mehr Mobilität für Kinder

„Es gibt ein Menschenrecht auf Mobilität, aber kein Menschenrecht auf einen SUV“, sagt er in seinem Vortrag. SUV steht für „Sport Utility Vehicle“ und meint die Geländewagen, die sich längst zu hochaufragenden Limosinen gewandelt haben. Und, dies vergisst er nicht zu erwähnen, eine immer schlechtere Sicht auf kleine Verkehrsteilnehmer bieten, wie es Kinder aus Kita und Grundschule sind. Sein Ziel lautet, Mobilität bedürfnisgerecht zu gestalten und dabei mit weniger Verkehr auszukommen. Die Unterscheidung zwischen Verkehr und Mobilität ist durchaus bedeutsam: Verkehr entsteht durch Fahrzeuge, deren Zahl immer weiter zunimmt. Mobilität meint schlicht die Möglichkeit, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Eine sinnvolle Verkehrsplanung würde aber weniger Verkehr bedeuten, weil die Menschen mehr zu Fuß gehen, Rad fahren, Car-Sharing betreiben, die Bahn nutzen oder in die Busse des Öffentlichen-Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) nutzen. Wer nachhaltig Verkehr planen will, muss sich daran orientieren.

Mobilität ist notwendig, damit Kinder überhaupt Kitas und Grundschulen erreichen. Udo Becker erinnert sich an seine eigene Kindheit. Da wurde ihm von den Eltern einmal der Weg zur Grundschule gezeigt und fortan musste er alleine und zu Fuß zurecht kommen. Heute bringen die meisten Eltern ihre Kinder mit dem Auto, zu den Stoßzeiten kann so ein regelrechtes Gedränge vor den Einrichtungen entstehen. Derartiger Verkehr hat inzwischen eigene Begrifflichkeiten hervorgebracht: Die Flächen vor Kitas und Grundschulen heißen „Kiss-and-go“, die fürsorglichen Eltern werden auch schon mal als „Helikopter-Eltern“ bezeichnet. Pädagogen kritisieren zunehmend die Überbehütung und wünschen sich mehr Freiräume und Zonen zum Ausprobieren für die Kinder. Auch Udo Becker plädiert dafür, dass Kinder durchaus mal hinfallen, aber in einem geschützten Rahmen. Wenn sie die Erfahrungen als Kinder nicht machten, dann würden sie das als Jugendliche und Erwachsene erleben, allerdings gleich in viel größeren und schwereren Ausmaß.

Sehr angetan zeigte sich der Verkehrsökologe zum Kreis Herford. „Positiv herausragend“ lautet sein Urteil. Es gebe nicht viele Kommunen und Kreise, die sich des Themas annähmen. Im Kreishaus sind dies vor allem Kita & Co und das Amt „Umwelt, Planen, Bauen“. Erstmals planten sie die Wege zur Erlebnisausstellung „Die Kuh im Kühlschrank“, die 2015 im Kreishaus zu sehen war, so, dass die Kindergruppen mit Linienbussen an- und abreisten. Mit im Boot waren damals die Minden Herforder Verkehrsgesellschaft (MHV). Die Kinder erlebten die Fahrten sehr bewusst und zeichneten die Reise. „Alle waren begeistert“, sagt Nadine Steenberg, Kreisbeauftragte für Mobilität, „nun wollen wir darauf aufbauen“.

Die Folgen davon, dass Kinder täglich einen Kilometer zu Fuß gehen, seien statisch enorm, sagt Professor Udo Becker. Er spricht von einer „Zehnerpotenz“. Ob Sport, Kunst, Mathe und Deutsch, die Kinder werden besser in der Schule. Als Erwachsene zahlten sie ihre Rechnungen pünktlicher oder gründeten Unternehmen. Ein spektakuläres Ergebnis. Wie es genau funktioniert, lässt sich nur ansatzweise entschlüsseln. Sich zu bewegen oder auch mit den Bus zu fahren, stärkt die Wahrnehmung der Umwelt, fördert soziale Kompetenzen und die Konzentration und nicht zuletzt die Gesundheit. Wer hingegen in einem Auto hinten angeschnallt gefahren wird, kommt unbewegt und mit wenig Eindrücken am Ziel an.

Doch wie lassen sich Kinder und vor allem die Eltern überzeugen? „Es geht nur mit Aufwand und Geduld“, sagt Udo Becker, „mit Gewalt lässt sich das nicht durchsetzen“. Ein Vorbild könnte der Busverkehr für Kitakinder und Grundschüler in Schwenningdorf sein der dort seit vielen Jahren exzellent funktioniert.

Das Forum richtete sich an Fachkräfte aus Kitas und Grundschulen, auch Mitarbeiter des Kreises waren dabei. Neben dem aufschlussreichen Impulsreferat von Udo Becker standen sieben Themeninseln im Saal. MHV und BVO informierten, was ein Sonderbus kostet oder ob ein Linienbus günstiger ist. Die MHV lud zudem dazu ein, Kinder auf eine Entdeckungsreise durch ihren Stadtteil zu schicken, sicher und mit auch Hilfe moderner Apps.

Das Amt „Umwelt, Planen, Bauen“ stellte Beispiele vor, wie sich durch die frühzeitige Auseinandersetzung mit den Themen Verkehr und Klima langfristig und nachhaltig viel gewinnen lässt. Die Herforder Polizei präsentierte Antworten auf die Frage, ab wann Kinder sich alleine im Verkehr bewegen können. Auch das Zukunftsnetz Mobilität NRW Koordinierungsstelle Ostwestfalen-Lippe war mit einem Infostand vertreten.

Eine weitere Themeninsel hatte die Umweltberatung der Stadt Löhne aufgebaut. Auch dort ging es um konkrete und bereits erprobte Beispiele, bei denen Kinder spielend lernen, Alltagswege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu schaffen.
Info:

Den Vortrag von Professor Udo Becker können Sie hier im pdf.Format herunterladen.

Beim Fachforum wurden auch spielerische Formen dargestellt, Kinder zu mehr Bewegung zu motivieren. Ein Beispiel hier https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/spielerisch-zu-nachhaltiger-mobilitaet oder auch hier www.trafficsnakegame.eu/germany/